Der Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsexperte Jan Quaing will Unternehmen Lust auf Transformation machen. Im Interview spricht er über die Potenziale der Twin Transformation.
GREEN.WORKS: Herr Quaing, wie weit ist die Digitalisierung im Mittelstand fortgeschritten?
Jan Quaing: Es kommt zunächst darauf an, was man unter Digitalisierung versteht und dann auf die Perspektive: Schaut man auf Branchen oder den Mittelstand insgesamt? Wenn man sich anschaut, wie sich der Mittelstand selbst einschätzt, dann hat die eigene positive Wahrnehmung durch die Pandemie abgenommen – weil man festgestellt hat, was Digitalisierung in anderen Zusammenhängen eben noch bedeuten kann: dass mehr dahintersteckt als die simple Überführung von Papier in papierlose Vorgänge. Der Mittelstand hat insgesamt noch sehr viele unerschlossene Potenziale bei der Digitalisierung.
Jan Quaing ist Experte für die Verbindung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Er steuert und koordiniert die Kompetenzplattform „DBU nachhaltig.digital“ der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, in Unternehmen die Digitalisierung als Instrument für nachhaltiges Wirtschaften zu fördern. Zudem verantwortet Quaing eine Studie, die sich mit der Entwicklung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Mittelstand beschäftigt.
Jan Quaing: Nehmen wir als Beispiel die Baubranche. Es ist eine extrem pfadabhängige Branche und eher langsam in der Transformation, weil dafür auch das Know-how fehlt. Dabei würden digitale Lösungen hier auch vieles einfacher machen. Andere Branchen, die von Haus aus eine höhere Affinität haben, wie Dienstleistungsunternehmen oder Softwareentwickler, sind da zum Teil weiter.
GREEN.WORKS: Verläuft die Digitalisierung auf nachhaltige Weise?
Jan Quaing: Wenn man Nachhaltigkeit in den Dimensionen Ökologie, Soziales und Governance (ESG) sieht, dann würde ich sagen, dass die Digitalisierung aus ökonomischen Gründen vorangetrieben wird und das Ökologische und das Soziale eher zweitrangig ist. Wobei man sagen muss, dass viele KMU den Wert der ökologischen Nachhaltigkeit immer mehr erkennen. Das hat aber auch mit Umständen wie zusammenbrechenden Lieferketten oder dem Rohstoffmangel zu tun. Damit werden ökologische Faktoren zu einem ökonomischen Risiko.
Jan Quaing: Natürlich haben digitale Technologien ihren eigenen Treibhausgas-Fußabdruck, der oft eher verbogen bleibt. Deshalb brauchen wir eine Digitalisierung mit Augenmaß. An vielen Stellen kann die Digitalisierung helfen mehr Emissionen zu mindern als sie verursacht, Rebound-Effekte können aber genauso schnell auftreten. Um eine Digitalisierung im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit zu vollziehen, braucht es Know-how darüber, wie Technologien wirken. Dieses Wissen fehlt in den Unternehmen vielfach noch. Da braucht es Zeit und Unterstützungsangebote für Weiterbildungen.
GREEN.WORKS: Wir haben zwei große Transformationen: Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Zusammengefasst wird das in dem Begriff der Twin Transformation. Wie muss man sich als Unternehmen aufstellen, um zwei solche Megathemen gleichzeitig bewältigen zu können?
Jan Quaing: Der erste Schritt ist gar nicht so kompliziert, um das vorwegzusagen. Die Themen mögen zunächst sehr erschlagend wirken. Aber man kann mit einfachen Maßnahmen anfangen, die noch nicht mal Geld kosten müssen. Das fängt bei einem veränderten Mindset an und bei einer Unternehmensstruktur, die Raum schafft für Wissensaustausch und Transparenz. Dadurch lernt eine Organisation und das schlägt sich bei den vielen Einzelentscheidungen im Alltag nieder.
Jan Quaing: Da gibt es eine Fülle an Beispielen. Wir sehen Startups, die Digitalisierung und Klimaschutz in total neue, und zum Teil disruptive Ideen gießen, bis hin zu ganz etablierten Familienunternehmen, die seit mehr als 150 Jahren am Markt sind.
GREEN.WORKS: Ein Beispiel!
Jan Quaing: In einem Blechwaren-Unternehmen hat die junge Generation digitale Technologien genutzt, um den Herstellungsprozess effizienter zu machen. Mit digitalen Zwillingen wurden Produkte simuliert und nachhaltiger gestaltet, mit Predictive-Maintenance-Technologie wurde die Auslastung der Fertigung optimiert. Es gibt aber auch Unternehmen, die digitale Technologien nutzen, um Reststoffe von Unternehmen aus der Umgebung zu kaufen – das geht so weit, dass Frittierfett aus Burger-Restaurants im 3D-Druck genutzt wird. Es gibt viele Beispiele, wie Bestehendes – gerade auch branchenübergreifend – neu gedacht werden kann.
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