Es gibt Fakten, die sind unumstößlich. Dazu gehört, dass seit den 80er Jahren die Insekten-Population in Deutschland drastisch geschrumpft ist und dass das nicht ohne Folgen für unser Ökosystem bleiben kann. Zu den unumstößlichen Wahrheiten zählt auch, dass der Mensch mit dem exzessiven Freisetzen von fossil gebundenem Kohlendioxid seine eigene kleine Warmzeit schafft. Auch das hat Folgen für das Ökosystem. Zu den unumstößlichen Fakten gehört auch, dass die Lebensweise des modernen Menschen die Hauptursache dieser Veränderungen ist.
Weitaus umstrittener sind die daraus zu ziehenden Schlüsse. In der öffentlichen Debatte drängt sich der Eindruck auf, dass die Mehrheit der Deutschen gegensteuern will: beim Insektensterben, beim Klimawandel, bei der Umweltverschmutzung. Aber wo anfangen?
Erfolg des Bayerischen Volksbegehrens belegt Bedürfnis nach Veränderung
Politik, Umweltschützer und die Publikumsmedien wollen in der konventionellen Landwirtschaft die Hauptverursacher dieser Veränderungen ausgemacht haben. Daher wird die Debatte auch von Forderungen beherrscht, die drastische Folgen haben, vor allem für die Landwirte in Deutschland. Es wird verlangt, auf Herbizide zu verzichten, auf Massentierhaltung, chemische Düngung, auf Gentechnik und all das, was moderne, konventionelle Landwirtschaft überhaupt erst möglich macht. Der Erfolg des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ belegt dieses Bedürfnis nach Veränderung ganz eindrücklich.
Dabei gehört zu den unumstößlichen Fakten, dass nicht allein die Landwirtschaft für Insektensterben, Klimawandel und Umweltverschmutzung verantwortlich ist. Gäbe es keine asphaltierten Straßen, keine zubetonierten Städte, keine Privatgärten mit blumenfreiem Spielrasen, keinen Individualverkehr und keine Einwegprodukte, müsste niemand über die vermeintlich folgenschweren Methoden der konventionellen Landwirtschaft diskutieren. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass die vor der Gesellschaft liegende Aufgabe nicht allein von der Landwirtschaft bewältigt werden kann. Von daher ist es völlig nachvollziehbar, dass sich Landwirte in die Ecke gedrängt fühlen, wenn die Öffentlichkeit sie als allein Schuldige an der Misere darstellt.
MEHR DAZU
Forschung
Mehr Insekten in Agrarlandschaften
Welchen Einfluss hat Landwirtschaft auf Insekten und wie sehen besonders insektenfreundliche Nutzungssysteme aus? Diesen Fragen stellen sich seit Oktober Forschende im Projekt „Final ‒ Förderung von Insekten in Agrarlandschaften“.
Rückzug in den Schmollwinkel ist ungeschickt
Das, womit die Landwirte es jetzt aber zu tun bekommen, ist ein weiterer unumstößlicher Fakt: Die Mehrheit entscheidet, was richtig ist. Und diese Mehrheit ist nicht bereit, auf asphaltierte Straßen, zubetonierte Städte, Privatgärten mit blumenfreiem Spielrasen, Individualverkehr und Einwegprodukte zu verzichten. Muss sie auch nicht. Sie können den schwarzen Peter ja einfach der Agrarwirtschaft zuzuschieben.
Jetzt können sich die Landwirte und Landwirtschaftsverbände – wie zunächst geschehen – in den medialen Schmollwinkel zurückziehen und darüber beklagen, dass sie als Bienenmörder diffamiert werden. Sie können fordern, dass doch die Städter erst mal ihren Vorgarten umgraben sollen, ehe sie der Landwirtschaft am Zeug flicken. Besonders geschickt ist das aber nicht.
Öffentlichkeit muss hören, dass Landwirtschaft die nötigen Veränderungen mitträgt
Viel richtiger wäre doch das Signal an die Öffentlichkeit, dass die Landwirtschaft die nötigen Veränderungen in Gänze mitträgt – und das aber im Schulterschluss mit der Mehrheitsgesellschaft. Die Forderung nach verpflichtenden Öko-Beeten in deutschen Privatgärten oder Ausgleichsflächen für urbane Betonwüsten lässt sich viel leichter stellen, wenn man vorher schon eine Selbstverpflichtung für mehr Öko-Flächen in der Landwirtschaft unterzeichnet hat.
MEHR DAZU
Insektenschutz
Ackerbaustrategie soll im Sommer vorliegen
Um den Insektenschwund zu beurteilen, will das BMEL ein Monitoring etablieren. Auch die Ackerbaustrategie ist in der Mache. An einem "Runden Tisch zu Landwirtschaft und Umweltschutz" habe es laut Naturschutzverbänden allerdings an konkreten Vorschlägen gemangelt.
Ohne derartige Zugeständnisse der Agrarwirtschaft an die Gesellschaft werden sich die Landwirte in den kommenden Jahren mit mehr und mehr Volksbegehren und strengeren Gesetzen konfrontiert sehen. Insbesondere die Landwirtschaftsverbände sollten nicht die Gelegenheit verpassen, die Zukunft ihrer Branche aktiv mitzugestalten. Denn sonst entscheidet allein die nur leidlich gut und schon gar nicht neutral informierte Mehrheitsgesellschaft über Richtig und Falsch.
MEHR DAZU
Forschung
NRW startet Insekten-Monitoring
In Nordrhein-Westfalen beginnt eine landesweite Untersuchung, um mehr über den Zustand der Insektenpopulation zu erfahren. Die verwendete Methode soll landesübergreifend Gültigkeit haben.
Die Kommentare für diesen Artikel sind geschlossen.