Henrike Schirmacher zur Biodiversität

Nicht ob, sondern wie

az
Artikel anhören
:
:
Info
Abonnenten von agrarzeitung Digital können sich diesen Artikel automatisiert vorlesen lassen.

Was bringen Dialogformate wie die Zukunftskommission Landwirtschaft, wenn beharrliche Kräfte alte Gräben immer wieder aufreißen? Die Hebel zum Erhalt der Artenvielfalt sind griffbereit.

 In der Realität sind wir offenbar noch weit davon entfernt, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Das zeigt die politische Debatte zum Erhalt der Biodiversität in Agrarlandschaften.


Dass Agrarchemie nicht ausschließlich Schädlinge tötet, sondern auch die Artenvielfalt schädigt, ist Fakt. Klar, umgekehrt gilt auch: Ohne die Möglichkeit, bei einem Schädlings- oder Pilzbefall mit Agrarchemie gegenzusteuern, drohen Ernteverluste. Aber selbst wenn beharrliche Kräfte vor diesem Hintergrund auf die „systemrelevante Technologie“ pochen, ändert das nichts an der wissenschaftlichen Datenlage zu ihren ökologischen Auswirkungen.

Es gibt beispielsweise Belege dafür, dass die Artenvielfalt in einem Großteil der Gewässer in Agrarlandschaften unter dem Einfluss von Pestiziden verschwindet. Die Forschung dazu ist sogar noch präziser: Eine Mengenhalbierung der eingesetzten Pflanzenschutzmittel auf landwirtschaftlichen Flächen wäre aufgrund der logarithmischen Dosis-Wirkung-Beziehung wenig hilfreich. Als Beispiel: Aktuell gelten rund 80 Prozent der Gewässer in Agrarlandschaften als belastet. Wenn der Einsatz von Pestiziden halbiert würde, sänke die Belastung nur unwesentlich. Agrarökologen empfehlen deshalb unisono, beim Spritzen einen Abstand von 20 bis 30 Metern zu Gewässern einzuhalten. Berechnungen zeigen, dass damit 95 Prozent der Gewässer in Agrarlandschaften vor der schädlichen Wirkung von Pflanzenschutzmitteln geschützt werden könnten.

Aber: Wie viel wertvolle landwirtschaftliche Nutzfläche geht dadurch verloren? Diese Frage zu beantworten, gehört zu einer wissenschaftlichen Folgenabschätzung dazu. Deutschlandweit läge der Verlust bei durchschnittlich knapp 4 Prozent, auch das haben Agrarökologen bereits ausgerechnet.

Nichtsdestotrotz steht es einer Gesellschaft offen, eine Technologie entgegen den Schäden, die sie verursacht, aufgrund ihres Nutzens zu verteidigen. Dies fair abzuwägen, kann aber nur gelingen, wenn wissenschaftliche Expertise gehört und ernst genommen wird.

Die Mitglieder im Gremium der Zukunftskommission Landwirtschaft haben das in nächtelangen Diskussionen längst hinter sich gebracht. In ihrem Abschlussbericht, der mittlerweile bald zwei Jahre alt ist und vermutlich gerade in einer Schublade verstaubt, ist festgehalten, dass vielfältige Strukturen in der Agrarlandschaft und eine Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln nötig sind, um die Biodiversität zu schützen. Nichts anderes hat die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag für eine nachhaltige Verwendung des Pflanzenschutzes im Sinn. Sicherlich, der Vorschlag ist noch zu allgemein gehalten und verbesserungswürdig. Doch auf die Richtung haben wir uns doch eigentlich längst geeinigt. Was hindert uns daran, das Kriegsbeil zu begraben und nach vorne zu schauen? An Wissen mangelt es uns jedenfalls nicht.




Newsletter-Service agrarzeitung

Mit unseren kostenlosen Newslettern versorgen wir Sie auf Wunsch mit den wichtigsten Branchenmeldungen

 
    stats