AgrarGespräch

Zu viel Bürokratie, zu wenig Glasfaser

Es diskutieren: Moderatorin Stefanie Pionke, az-Chefredakteurin, Dr. Andreas Möller, Unternehmenskommunikator und Publizist, Peter R. Müller, Geschäftsführer Bayer CropScience Deutschland, Petra Bentkämper, Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes und Carina Konrad, Bundestagsabgeordnete der FDP (von links und oben nach unten).
Foto: Felix Holland
Es diskutieren: Moderatorin Stefanie Pionke, az-Chefredakteurin, Dr. Andreas Möller, Unternehmenskommunikator und Publizist, Peter R. Müller, Geschäftsführer Bayer CropScience Deutschland, Petra Bentkämper, Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes und Carina Konrad, Bundestagsabgeordnete der FDP (von links und oben nach unten).

Der Ländliche Raum soll aufgewertet und zum Konjunkturmotor werden. Doch es gibt viel zu tun, wissen die Teilnehmer des Bayer-AgrarGesprächs.

„Durch die sinkende Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe haben sich Dörfer unglaublich verändert“, betonte Petra Bentkämper, Präsidentin des Deutschen Land-Frauenverbandes, während des digitalen Bayer-Agrargesprächs „Zukunft ländlicher Raum- innovativ oder doch abgehängt?“. „Sowohl kulturell als auch ökonomisch und sozial waren die Betriebe früher die tragende Säule für das Dorfleben. Das hat sich jetzt verändert, weil es viel weniger Betriebe gibt.“ Bentkämper führt gemeinsam mit ihrem Ehemann einen Milchviehbetrieb am Stadtrand von Bielefeld. „Um das soziale Leben im ländlichen Raum aufrechtzuerhalten, braucht es ganz viele aktive Menschen mit Ideen.“ Bentkämper weiß zu berichten, dass dies bislang meist auf ehrenamtlichem Engagement beruht.
Die Zukunft des ländlichen Raumes kann ihrer Meinung nach nicht allein mit Fördermitteln für die Agrar- und Umweltpolitik gestemmt werden. So halte es auch der Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft fest, berichtete sie. Als Kommissionsmitglied habe sie mit den anderen Teilnehmern „unendlich gesessen, manchmal in nächtlichen Sitzungen“.

Querschnittsaufgabe für alle Bundesministerien

Vielmehr ist die Zukunft des ländlichen Raumes für Bentkämper eine „Querschnittsaufgabe“ für alle Ministerien. Das bestätigte die Bundestagsabgeordnete der FDP, Carina Konrad: „Hier muss Politik künftig viel mehr leisten.“ Bislang verliere man sich allerdings in der politischen Debatte im „Klein-Klein“, meinte Konrad. Als mitteleuropäischer Gunststandort biete Deutschland Voraussetzungen bei der Ernährung der Weltbevölkerung, die auf 9 Milliarden Menschen anwachsen werde, zu helfen. Dafür müsste die unternehmerische Freiheit der Betriebe allerdings wieder mehr Gewicht erhalten. Konrad will den Verwaltungsaufwand für diese „entschlacken“ und die Landwirtschaft entsprechend entbürokratisieren. Eine Schlagzeile in der Medienlandschaft mache ihr aktuell zu schaffen: Deutschland sei nicht mehr Exportweltmeister im Maschinenbau, zu dem die Landtechnik-Sparte gehört. Abgelöst habe China, sagte Konrad. Die Unternehmen seien aber im ländlichen Raum angesiedelt und dieser folglich „ein wichtiges Kraftzentrum, das zu unserem Wohlstand beigetragen hat“, sagte Konrad. Derzeit drehe sich die Diskussion leider nur um „Verzicht, geringere Erträge, weniger Pflanzenschutz“, kritisierte die FDP-Politikerin. „Die Herausforderung ist eine ganz andere.“

Für mehr Innovationskraft

Sollte ihre Partei nach der Bundestagswahl im September die Möglichkeit erhalten, sich an einer Regierung zu beteiligen, wolle sie finanzielle Freiräume durch steuerliche Entlastungen schaffen. „Dann können Betriebe Innovationskraft entwickeln, ich will sie entfesseln. Wir müssen Menschen viel mehr zutrauen. Mit uns wird die Haltung eine andere sein.“

Infrastruktur fehlt

„Ich war zuvor in Indien tätig. Dort war die Erreichbarkeit in weiten Teilen besser als hier“, verwies Peter R. Müller, Geschäftsführer Bayer CropScience Deutschland, auf ein bekanntes Problem. „Das spricht doch Bände“, sagte er. „Wir brauchen ein 5G-Netz und einen Glasfaserausbau in Deutschland, damit wir überhaupt handlungsfähig sind.“ Erst dann sei die Voraussetzung geschaffen, um Arbeitsplätze aus der Stadt in den ländlichen Raum zu verlagern. „Das ist für uns wesentlich“, sagte Müller, dessen Unternehmen die Landwirtschaft mit digitalen Tools und innovativen Konzepten versorgen will. Zudem stehe man vor einer Herkulesaufgabe, die Branche zu entbürokratisieren: „Wir haben es über Jahrzehnte perfektioniert, den ländlichen Raum zu gängeln und zu bürokratisieren. Das umzukehren, benötigt viel Energie.“

Auch die weichen Faktoren sind wichtig

Mit dem Verlauf der aktuellen politischen Diskussion war auch Dr. Andreas Möller, Unternehmenskommunikator und Publizist, nicht zufrieden: „Vom Verbraucher wird nicht wahrgenommen, dass Landwirtschaft in einem liberalisierten Weltmarkt stattfindet, einem immensen Preisdruck des Lebensmitteleinzelhandels ausgesetzt ist und darüber hinaus zahlreiche regulatorische Maßnahmen zu erfüllen hat.“ Hinzukomme eine psychologische Komponente: Inmitten der Corona-Pandemie sei der Beruf in der Öffentlichkeit erstmals als systemrelevant wahrgenommen worden. Doch: „Es ist immer wichtig, diesen Beruf auszuüben.“ Dass die CDU/CSU diesen psychologischen Aspekt in ihrem Wahlprogramm aufgreife, lobte Möller. Begriffe wie „Bauern Bashing“ würden sich zurecht im Programm finden. „Es sind nicht immer nur die harten Faktoren, die zählen. Das gesellschaftliche und politische Klima, in dem ein Sektor sich befindet, zählt ebenfalls dazu“, betonte er.



Auch durch ihre Verbandsarbeit bemerkt Bentkämper, dass der Strukturwandel wirkt: „Wir haben 450.000 Mitglieder, aber nur ein geringer Teil kommt aus der Landwirtschaft. Alle anderen sind zwar dem ländlichen Raum verbunden. Aber wir merken, dass wir viel tun müssen.“

Wertschätzung wächst durch gemeinsame Erlebnisse

Obwohl ihr Betrieb an einem Radweg liegt, habe sie Anfeindungen glücklicherweise nie erleben müssen. „Es ist wichtig, offen auf die Menschen zuzugehen und Kinder auf die Höfe zu holen. Ich finde, jedes Kind sollte während seiner Schulzeit einmal auf einem Hof gewesen sein“, sagte sie. „Doch das kriegen wir gar nicht hin: Es gib zu wenig Höfe und zu wenig Kinder.“
Auch Müller findet es wichtig, die Gesellschaft abzuholen. „Wir stehen auch sehr oft in der Kritik“, sagt er. „Deswegen haben wir unsere Mitarbeiter als Multiplikatoren geschult. Auf Gartenfesten können diese dann erklären, was es mit Pflanzenschutz auf sich hat.“ Denn wenn es heißt: „Na na, was Du arbeitest bei Bayer und dann auch noch mit Pflanzenschutzmitteln – muss der Mitarbeiter zudem wissen, wie er mit Konflikten umgeht. Die besten Botschafter, das sind wir selbst“, konkretisierte Müller. Als Paradebeispiel für die praktische Anwendung von Pflanzenschutz und anderen Innovationen führe Bayer CropScience beispielsweise die „Forward Farms“.

New Work passt gut zu Bayer CropScience

Der Wandel zu „New Work“ bereitet Müller hingegen keine Sorgen. Im Gegenteil: Während es früher hieß, dass ein Außendienstler, der bei Bayer Karriere machen wollte, mal in der Zentrale von Bayer CropScience gearbeitet haben musste, habe man davon jetzt abgelassen. „Die Art und Weise der Zusammenarbeit ist eine andere geworden. Die Digitalisierung kann das riesige Potenzial, das im ländlichen Raum schlummert, heben. Wenn wir das nicht nutzen, sind wir selbst schuld.“

Bus oder Auto?

Möller warnte davor, Lebensrealitäten im ländlichen Raum zu missachten. In der Debatte über zu niedrige Benzinpreise fehle der realistische Blick auf individuelle Alltagsprobleme von Familien auf dem Land. „Manchmal brauchen die sogar zwei Autos“, pflichtete im Konrad bei. „Wir müssen uns nichts vormachen, dass auf dem Land alle paar Minuten ein Bus oder Zug kommt, ist unrealistisch“, sagte auch Bentkämper. „Wir werden das Auto weiterbrauchen.“




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