az: Wie lautet Ihre Kritik am EuGH-Urteil?Schäfer: Der Europäische Gerichtshof hat pauschal entschieden, dass alle Pflanzen, die mit Genome-Editing-Verfahren wie CRISPR/Cas erzeugt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) einzustufen und entsprechend aufwendig zuzulassen sind. Diese Bewertung halte ich für falsch. Aus fachlicher Sicht sollten Pflanzen, die sich nicht von klassisch gezüchteten Pflanzen unterscheiden, nicht in den Regelungsbereich des Gentechnikrechts fallen. Eine so entstandene Pflanze enthält nämlich keinerlei artfremde DNA.
Welche Änderungen schlagen Sie vor?Schäfer: Der BDP fordert Politik und Verwaltung dazu auf, die Gesetzgebung anzupassen. Vorstellbar wäre ein Regelwerk, das die GVO-Freisetzungsrichtlinie ergänzt und differenzierte Leitlinien zum Umgang mit Pflanzen aus neuen Züchtungsmethoden festlegt. Das Regelwerk sollte sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen und neuesten Entwicklungen in der Pflanzenzüchtung orientieren. Nach Schlussfolgerung mehrerer europäischer und nationaler Expertengremien sollte die Mehrzahl der Pflanzen, die durch die neuen biotechnologischen Verfahren entstehen, nicht unter die geltende Definition für einen gentechnisch veränderten Organismus fallen, weil sie sich nicht von konventionell gezüchteten Pflanzen unterscheiden.
„Der Erfolg unserer Forderung ist schwierig einzuschätzen. “
Dr. Carl-Stephan Schäfer, 
Wie ist die Stimmungslage unter Pflanzenzüchtern in anderen EU-Staaten mit Blick auf das Urteil?Schäfer: Die Pflanzenzüchter in Europa betrachten die derzeitige Entwicklung mit Sorge und sind sich einig, dass großer Handlungsbedarf besteht. Uns bleibt ein Teil des Methodenspektrums versagt, das wir brauchen, um den weltweiten Herausforderungen zu begegnen. Die Notwendigkeit von Innovationen aus der Pflanzenzüchtung muss noch sichtbarer werden. Die European Seed Association setzt sich auf europäischer Ebene dafür ein. Wie wir fordert sie eine Anpassung der Gesetzgebung durch die Politik.
Zur Person
Seit acht Jahren steht der 52-Jährige an der Spitze des Bundesverbands Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). Das Interesse an Züchtungsfragen begleitet ihn schon lange. Nach seiner Diplomarbeit in Agrarwissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn mit dem Schwerpunkt Genetik widmete er sich in seiner Promotion vollständig dem Thema Züchtung.
Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?Schäfer: Das ist schwierig einzuschätzen und würde einen Blick in die Glaskugel bedeuten. Die EU-Kommission arbeitet bereits seit vielen Jahren an dieser Thematik ohne ein konkretes Ergebnis. Den Mitgliedstaaten kommt im weiteren Prozess eine ganz besondere Bedeutung zu. Neben Deutschland gibt es aber 27 weitere EU-Mitgliedstaaten, deren politische Entscheidungsträger mitwirken.
Gesetzt den Fall, Ihre Initiative bleibt erfolglos: Was erwartet die Branche?Schäfer: Schon jetzt verlagern Unternehmen ihre Forschungsaktivitäten ins außereuropäische Ausland, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Andererseits wandern ehrgeizige Wissenschaftler ab, die nicht von einer Zukunftstechnologie abgeschnitten sein wollen.
Zwar bleiben die Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU grundsätzlich gleich. Doch auf neues Pflanzenmaterial, das mit Genome Editing außerhalb Europas erzeugt wurde, werden hiesige Züchter de facto keinen Zugriff haben. Enthält dies beispielsweise wichtige Resistenzen, ist das ein großer Nachteil für Pflanzenzüchtung und Landwirtschaft gleichermaßen.
Die Überwachung von Importen dürfte schwierig werden. Durch neue Züchtungsmethoden erzeugte Mutationen sind nicht von natürlich auftretenden Mutationen unterscheinbar. Die wissenschaftliche Grundlage für ein Identifizierungsverfahren fehlt.
Es gibt Stimmen, die das Gegenteil behaupten. Können Sie einen Fall beschreiben, bei dem der Nachweis aus Ihrer Sicht unmöglich ist?Schäfer: Um den Ursprung einer Punktmutation, also lediglich die Änderung einer einzelnen Base, beispielsweise im Weizengenom zu identifizieren, fehlt laut des Scientific Advice Mechanism der EU-Kommission sowie den Fachbehörden des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft die wissenschaftliche Grundlage – selbst dann, wenn die Mutation an sich nachweisbar ist. Einige Länder dieser Welt wie zum Beispiel die USA, Argentinien und Japan stufen Pflanzen aus neuen Züchtungsverfahren nicht per se als GVO ein. Ein Beispiel: Ein Weizen kommt aus Argentinien und soll in die EU importiert werden. Ohne die entsprechende Information würde den europäischen Behörden die Kenntnis darüber fehlen, ob der Weizen mithilfe von Genome Editing erzeugt wurde und genehmigungspflichtig ist. Auch die Überwachung von Produkten auf Spuren genehmigungspflichtiger Pflanzen ist de facto nicht möglich.
In welchem Zeitraum wird der Zuchterfolg mithilfe von Genome Editing voraussichtlich spürbar werden?Schäfer: In dieser Technologie steckt großes Potenzial. Dies zeigen erste Ergebnisse, die in jüngerer Zeit veröffentlicht wurden. Wir sind weltweit gerade in einer Phase, in der vielversprechende Produkte aus neuen Züchtungsmethoden Marktreife erlangen. Wie viel davon in der Praxis ankommt, entscheidet aber nicht zuletzt die Praktikabilität der gesetzlichen Vorgaben zu deren Anwendung.
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