Der Heimischer Absatz bietet großes Potenzial. Das Zertifizierungssystem steckt aber noch in den Kinderschuhen. Bisher nutzen die Betriebe internationale Siegel.
Damit das möglich ist, musste Taskaew noch ein teures Zertifizierungsverfahren nach EU-Regeln durchlaufen. Denn bisher gab es in Russland kein staatliches Zertifizierungsverfahren. Erst Anfang 2020 ist ein Gesetz in Kraft getreten, das eine staatlich anerkannte Lizenzierung einführt. Die Bestimmungen regeln Herstellung, Lagerung, Kennzeichnung und Verarbeitung von ökologischen Produkten. Wer in Russland Lebensmittel mit einem Bio-Siegel verkaufen will, der braucht nun das Zertifikat eines Prüfers, der in Russland von der staatlichen Akkreditierungsagentur zugelassen wurde.
In der Branche sorgt das neue Gesetz für Optimismus. „Ich bin mir sicher, dass sich die Nachfrage nach Bio-Produkten nun positiv entwickeln wird“, meint Landwirt Taskaew. Tatsächlich scheint das Wachstumspotenzial groß. Nach Angaben des Marktforschungsinstituts Euromonitor International beläuft sich der Umsatz von Produkten, die von den Herstellern als biologisch und gesund vermarktet werden, auf umgerechnet etwa 13 Mrd. €. Doch nur ein Bruchteil davon entfällt auf Hersteller, die sich tatsächlich an die Regeln halten. Nach einer Untersuchung des Landwirtschaftsministeriums beträgt der Umsatz mit zertifizierten organischen Lebensmitteln weniger als 200 Mio. €. Der internationale Ökoverband Ifoam schätzt in Russland 2018 lediglich ein Volumen von 160 Mio. €.
Laut dem nationalen Branchenverband für organische Landwirtschaft gibt es in Russland derzeit lediglich 45 Betriebe, die ein international anerkanntes Siegel erworben haben. Hinzu kommt noch eine Handvoll Hersteller, die bisher freiwillige russische Prüfsiegel erhalten haben. Die Zahl der nationalen Anerkennungen könnte in den kommenden Jahren rapide steigen. Insgesamt hoffen Landwirte und Lebensmittelhersteller, dass auch sie einen größeren Teil des Kuchens abbekommen, sobald die neue Regulierung das Wirrwarr an Siegeln beendet.
Gleichzeitig können russische Bauern, die in die ökologische Landwirtschaft investieren, mit staatlichen Subventionen rechnen. So will das Gebiet Woronesch seinen Landwirten die Kosten für die Zertifizierung vollständig erstatten und die Nutzung von für die organische Landwirtschaft erlaubten Präparaten zu 50 Prozent bezuschussen. In der Region um St. Petersburg plant die regionale Regierung eine 10-prozentige Erstattung von Investitionskosten ökologisch wirtschaftender Betriebe, wenn sie über ein russisches Zertifikat verfügen.
Im russischen Landwirtschaftsministerium erhofft man sich von dem Schritt auch steigende Exporte. Schließlich galten fehlende Siegel und das mangelnde Vertrauen in die russische Öko-Branche jahrelang als größte Hindernisse bei der Suche nach Kunden im Ausland. Die Ausfuhren von Ökoprodukten belaufen sich derzeit auf verschwindend geringe 13 Mio. €. Dem schnellen Wachstum stehen aber Hürden im Weg. Noch plagen sich russische Landwirte damit, dass nicht genügend Prüfstellen im Land vorhanden sind. Bisher gibt es nur ein einziges Unternehmen und zwei staatliche Stellen, die das verlangte Zertifikat überhaupt ausstellen können. Ein weiteres Problem ist laut Branchenkennern, dass die staatliche Agentur Rosakkreditacija, die für die Zulassung der Öko-Prüfer zuständig ist, keine internationale Anerkennung genießt.
„Das russische Zertifizierungssystem ist noch nicht bereit für das neue Gesetz“, heißt es beim Branchenverband der Ökobauern. Er hofft deshalb, dass die Regierung eine Übergangsperiode einführt, während der die internationalen Zertifikate nach den Normen der EU, der USA und Japans vorerst ihre Gültigkeit behalten. Bisher werde darüber im zuständigen Landwirtschaftsministerium noch beraten, berichtet der Ökoverband.