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Hürdenlauf zur Kultivierung

Erkenntnisse von Patrick Inomoto

© Innocent Meat © Innocent Meat

Patrick Inomoto

ist Chief Technology Officer (CTO) der Innocent Meat GmbH. Als Biochemiker mit starkem Hintergrund in der Prozesstechnologie hat er vor seiner Zeit als CTO Prozesstechnologien im Bereich Zelltherapie zu einem namhaften Unternehmen in Deutschland transferiert und skaliert. Zusätzlich zu seinen Kenntnissen in der Prozesstechnologie  besitzt er explizite Erfahrung in der Etablierung von Expressionssystemen in gentechnisch veränderten Kulturpflanzen zur Produktion rekombinanter Proteine. Heute ist er als wissenschaftlicher Leiter der Forschung und Entwicklung bei der Innocent Meat GmbH tätig und mit Transfer und Etablierung innovativer Technologien in Prozessen zur Produktion von kultiviertem Fleisch beschäftigt.

Der Journalist Joe Fassler hat auf der Plattform The Counter im Artikel „Lab-grown meat is supposed to be inevitable. The science tells a different story” die größten Herausforderungen rund um eine massenhafte Produktion von kultiviertem Fleisch zusammengetragen. Der Artikel baut auf den Ergebnissen verschiedener Techno-Economic Analyses auf. Patrick Inomoto, CTO bei Innocent Meat, stellt sich ausgewählten Thesen, die gegen die Branche sprechen, und klärt auf, wie eine Zukunft mit kultiviertem Fleisch möglich ist.
Bioreaktoren und Skalierung
© Ralph Stegmaier
These 1 Es gibt bisher keine Bioreaktoren, die die prognostizierten Mengen produzieren können, und je größer die Reaktoren sind, desto schwieriger wird es, die Zellen gleichmäßig mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen. 

Je größer ein Bioreaktor ist, desto höher ist der notwendige Energieeintrag, um die Wärme zu verteilen und im Reaktor die gleichen Bedingungen herzustellen. Die Energieeffizienz ist dabei nicht linear. Die Kosten bei großen Reaktoren steigen deshalb stark an. Im Fall einer Havarie ist der Verlust zusätzlich deutlich größer. Deshalb arbeiten wir bei uns mit einer sinnvollen Maximalgröße. Dann wird sogenanntes „Outscaling” betrieben. Es werden mehrere Bioreaktoren nebeneinander eingesetzt. Dieses Vorgehen sehen wir derzeit auch in den Pilotanlagen anderer namhafter Unternehmen der Branche. Wir arbeiten zudem an der Prozessintensivierung. Dabei werden einzelne Schritte der Kultivierung gespart und das Reaktorvolumen heruntergefahren. Die Dichte der Biomasse wird hierbei deutlich erhöht. Das geht beispielsweise durch Perfusion. Bei der Perfusion werden die Zellen im Reaktor ständig mit einem Zustrom an frischem Medium versorgt. Das verbrauchte Medium wird abgepumpt und die Zellen werden optimal mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Dadurch wird eine höhere Zelldichte erreicht. Ein konventioneller Bioreaktor kommt im Optimalfall auf etwa 5–50 Millionen Zellen/ml. Durch Prozessintensivierung kann die Zellzahl um mehr als das Zehnfache gesteigert werden. Der unerreichbare Traum ist dabei, in einem Liter Medium ein Kilogramm Fleisch herzustellen. Das werden wir aufgrund der notwendigen Verteilung der Nährstoffe nicht erreichen. Können wir die Produktivität allerdings auf nur ein Drittel dieser Leistung bringen, würden 1.000 Liter Reaktorvolumen ausreichen, um etwa 333 kg Fleisch zu produzieren. Aktuell benötigen wir dafür etwa 7–10 Tage.

These 2 Die Produktionsstätten müssten mit Bioreaktoren unterschiedlicher Größe ausgestattet sein, um die wachsende Zellmasse proportional mit der richtigen Menge Nährstoffe zu versorgen. 

Einen komplett kontinuierlichen Prozess zu etablieren, hat noch niemand erreicht. Auch bei Reaktorvolumen von mehreren Tausend Litern mit Perfusion wird ein sogenannter „Seed Train” benötigt. Dieser beschreibt die schrittweise Erhöhung des Reaktorvolumens mit mehr und mehr Gesamt-Biomasse. Um Zellen effektiv zu vermehren, benötigt man eine gewisse Startmenge an Zellen, damit sie ein optimales Wachstum zeigen. Man kann das bildhaft mit dem Wunsch nach sozialem Kontakt unter den Zellen beschreiben. Daher diese stufenweise Skalierung. Die Zellen verteilen und vermehren sich zunächst in kleinen Plastikgefäßen. Habe ich ausreichend Zellen vermehrt, kann ich das nächstgrößere Gefäß mit der entsprechenden Mindestmenge an Zellen, die ich für dieses Volumen benötige, beladen. Setze ich die bereits erwähnte Prozessintensivierung auch schon in den kleineren Volumina an, kann ich die Anzahl der notwendigen Gefäße im Seed Train reduzieren und somit am Ende Zeit und Geld sparen.

Pharmazeutische Standards
© Ralph Stegmaier
These 3 Kultiviertes Fleisch braucht kostspielige Aminosäuren, die derzeit nicht in ausreichender Masse produziert werden. 

Im Pharmabereich gibt es die „Good Manufacturing Practice“ (GMP). Das ist ein Zertifizierungsgrad, den man für die Produktion von Medikamenten benötigt. Eine Grundannahme der Analysen beruht darauf, dass wir bei der Kultivierung von Fleisch auch unter diese Zertifizierungspflicht fallen. Das hätte Auswirkungen auf alle Zutaten, selbst auf einfache Zutaten wie gewöhnlichen Haushaltszucker. Bei einer haushaltsüblichen Saccharose, die sonst vielleicht einen Euro kostet, wird unter GMP genau auf die Zusammensetzung geachtet und die Quelle, die Analytik und die Zusammensetzung genauestens dokumentiert. Dann kostet eine solche Saccharose schnell das Zehnfache. In dem aufgestellten Szenario hat der Analyst also recht – wenn wir von Aminosäuren sprechen, wie sie nach GMP im Pharmabereich eingesetzt werden, ist der Preis für die Grundstoffe zur Produktion nicht akzeptabel. Bezogen auf das explizite Beispiel der Aminosäuren kann man Folgendes erläutern. Es gibt 21 Aminosäuren, aus denen fast alle Proteine dieser Welt bestehen. Jeder Busch, jedes Lebewesen besteht zu einem nennenswerten Teil aus Proteinen. Die Aminosäuren aus diesen Proteinen zu isolieren und für den Prozess bereitzustellen, ist kein einfaches Unterfangen, wird aber bereits in der Lebensmittelindustrie durchgeführt. Die Pharmabranche produziert jede einzelne Aminosäure synthetisch. Das ist für uns keine Option. Wir müssen Proteine und Aminosäuren auf konventionellem Weg mit konventioneller Landwirtschaft aus dem Ackerbau gewinnen. Die sind viel günstiger und in sehr großem Ausmaß verfügbar. Das Ziel der Industrie ist daher natürlich, nach Lebensmittelstandard zertifiziert und behandelt zu werden und nicht nach pharmazeutischen Standards bewertet zu werden. 
© Innocent Meat
These 4 Es sind kostenintensive Reinräume notwendig.

Ein Reinraum ist ein Raum, der komplett von der Umwelt isoliert ist und eine eigene gereinigte Luftzufuhr besitzt. Zugang und Ausgang von Personen, Werkstoffen und Gasen sind streng reglementiert und kontrolliert. Innocent Meat nutzt Prozesstechnologie, die die Zellen, das Zellkulturmedium und alle weiteren Bestandteile innerhalb des Prozesses komplett von der Außenwelt isoliert. Die Produkte kommen in geschlossenen Behältern zum Prozess und können auch ohne Umweltkontakt in diesen eingespeist und wieder herausgeholt werden. Hinzu kommt der nicht vorhandene Gefährdungsgrad von kultiviertem Fleisch – einem Lebensmittel. Reinräume werden häufig verwendet, um die Produktion sauber zu halten, aber auch, um die Umwelt vor eventuellen Austritten gentechnischen oder gefährdenden Materials zu bewahren. Die Umwelt muss aber nicht vor Fleisch geschützt werden. Es geht keine Gefahr vom Produkt aus.

These 5 Abbauprodukte der Zellen hemmen das Wachstum.

Das ist ein Punkt, mit dem wir uns beschäftigen. Die Zellen produzieren Abbauprodukte, sogenannte Metabolite, genauso wie wir Menschen auch. Diese Metabolite führen bei wachsender Konzentration dazu, dass die Zellen nach einer gewissen Zeit in einem Behälter in ihrem Wachstum gehemmt werden oder sogar absterben. Die zuvor beschriebene Prozessintensivierung ermöglicht es, mit kontinuierlichem Medienwechsel (Zustrom frisches Medium und Abfuhr verbrauchtes Medium) dauerhaft für optimale Bedingungen im Reaktor zu sorgen. Zur Erhöhung der Nachhaltigkeit und zur Kostensenkung dieser Prozesse entwickeln wir eine Nährmedium-Aufbereitungsanlage. Dieses System ermöglicht die Aufarbeitung des abgeführten Mediums. Es filtert die hemmenden Metabolite heraus, Nährstoffe, die im Prozess verbraucht werden, werden wieder aufgefüllt und das Medium kann wiederverwendet werden.

Nährstoffe und Nährmedium
© Ralph Stegmaier
These 6 Mineralien und Vitamine müssen hinzugefügt werden. Aber auch Fette müssen für die Herstellung von schmackhaften Produkten zugesetzt werden. Der Preis steigt.

Es gibt einige Nährstoffe und Vitamine, die nicht sehr stabil sind – gerade bei den vorliegenden Kulturbedingungen. Auch Wachstumsfaktoren oder Signalmoleküle sind thermisch oft instabil und verlieren im Laufe des Prozesses ihre Aktivität. Das kann durch Temperatur, Licht und zugeführte Luft passieren. Zusätzlich können zahlreiche weitere Faktoren zum finalen Produkt zugegeben werden, um Geschmack, Textur und Nährwert positiv zu beeinflussen. Die teuren Produkte, die in der Zellkultur eingesetzt werden, können wir auf lange Sicht mittels Fermentation und anderer Methoden bereitstellen. Dass auf diesem Wege günstige Proteine nach Wunsch produziert werden können, haben wir nicht zuletzt aus der Waschmittelindustrie gelernt, die technische Enzyme für einen Cent-Preis herstellen kann. Alle anderen Faktoren zur Verbesserung von Geschmack und Textur kennen wir ebenfalls aus der Lebensmittelindustrie. Sie werden sowohl bei existierenden Fleischprodukten als auch bei pflanzenbasierten Alternativen eingesetzt, ohne die Kosten ins Unermessliche zu steigern. Fette müssen in unseren Prozessen nicht zugesetzt werden. Wir können Fettgewebe aus der Zellkultur bereitstellen. Die darin enthaltenen Fettzellen speichern Fetttröpfchen direkt im Gewebe ein. Innerhalb des Produktionsprozesses können wir das Fettsäuremuster relativ direkt steuern, das in die Zelle integriert wird, und somit den Fettgehalt und das entsprechende Fettsäuremuster genau regulieren.

These 7 Wachstumsfaktoren wie TGF-β können mehrere Millionen Dollar pro Gramm kosten.

Wachstumsfaktoren und andere rekombinante Proteine für die Unterstützung des Prozesses sind ein elementarer Baustein für den Erfolg von kultiviertem Fleisch. Zahlreiche Unternehmen weltweit haben sich mittlerweile darauf spezialisiert, diese mittels Fermentation und anderer moderner Methoden kostengünstig und skalierbar herzustellen. Auch wir entwickeln hier eigene Lösungen auf Basis von Erbsenpflanzen als Produktionssystem für rekombinante Proteine. Schon heute nutzen wir im Labor einige dieser Prototypen, die bereits jetzt einen Bruchteil der ursprünglichen Kosten aus dem Pharmabereich benötigen. Die Technologie wird mit der Zeit noch deutlich effektiver und ist hervorragend skalierbar. Zusätzlicher Vorteil solcher Wachstumsfaktoren ist, dass sie in geringsten Konzentrationen eingesetzt werden. Der kritisierte Wachstumsfaktor wird üblicherweise in Konzentrationen von 0,0000001 g pro Liter eingesetzt. Diese Mengen können über solche modernen Technologien auch für große Produktionskapazitäten gut bereitgestellt werden.

Innocent Meat

entwickelt ein skalierbares und flächendeckendes System, das von Partnern aus der Fleisch- und Lebensmittelindustrie gekauft werden kann. Diese Partner erhalten sowohl die Prozesstechnologie als auch Zellen und weitere Zutaten für die Produktion und müssen sich nicht mehr um technische Herausforderungen kümmern. Die Zellen werden bei diesem Ansatz bei Innocent Meat produziert, in hoher Dichte abgepackt und an den Partner versandt. Die abgepackten Zutaten können dann vor Ort einfach angeschlossen werden und der Prozess startet vollautomatisch per Knopfdruck. So kann man alle 7–14 Tage eine neue automatisierte Ernte vornehmen und sein eigenes kultiviertes Fleisch produzieren.
innocent-meat.com

These 8 Wir werden nie Preisparität erreichen.

Derzeit sind wir noch nicht bei marktfähigen Preisen, deshalb halte ich mich mit Zahlen zurück. Aber unser Ziel ist, dass unser Kunde sein Roh- oder verarbeitetes Material zum selben Preis verkaufen kann wie sonst auch. Future Meat ruft einen Preis von vier Dollar für 100 Gramm auf und zeigt uns, wie weit die Technologie in den letzten Jahren gekommen ist, aber auch, dass noch ein weiter Weg zur Preisparität zu gehen ist. Gentechnik birgt in der Kostenentwicklung ein großes Potenzial. Was viele Unternehmen der Branche plagt, ist die Effizienz der Umwandlung von Stammzellen in Muskel- sowie Fettgewebe zu einem so hohen Grad, dass man eine optimale Textur erhält. Wenn man keine gentechnisch veränderten Zelllinien hat, dann gibt man den Zellen Signalstoffe, um sie dahingehend zu steuern. Diese Signalstoffe sind teuer, können über oben beschriebene Technologien aber auf lange Sicht günstiger werden. Tauscht man jedoch das Gen aus und sagt den Zellen „per Knopfdruck”, zum Beispiel durch Zugabe bestimmter Zucker, die das Gen aktivieren, dass sie sich differenzieren sollen, können die Kosten für das Medium extrem gesenkt werden. Das ist eine spannende Technologie, die hier in Europa nicht gut ankommt. Die Angst vor Gentechnik ist tief verankert. Wir werden sehen, welchen Weg die Technologien weltweit einschlagen werden. 

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