Alternative Proteine in Deutschland

2022: Alles im Fluss

© Ralph Stegmaier
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Studien zeigen ein großes Potenzial für den Markt rund um alternative Proteine, aber gilt das auch für den deutschen? Was verraten uns die Zahlen rund um Umsatz, Investitionen und den Geschmack des Verbrauchers über den Status eines deutschen Masterplans?

Anpfiff – ein kleiner Exkurs
Alternative Proteine kommen. Nein, sie sind schon da. Zumindest flankieren sie zunehmend den Markt. Zum Beispiel im Gewand der Organisation und des gleichnamigen globalen Mitmachmonats Veganuary, im Spiel der Aktienkurse nach dem Börsengang der Marke Veganz oder als erste große Markenkampagne für den europäischen Markt, wie sie Beyond Meat gerade gelauncht hat. Im Schlepptau der Marken und Mitmachaktion befindet sich dabei erstklassige Prominenz. Eine Prominenz, mit der Verbraucher emotional verbunden sind. Ob die Partnerschaft von Veganz mit dem RB Leipzig, die Unterstützung des Veganuary durch Ex-Fußballer Timo Hildebrand oder das Gesicht von Serge Gnabry, der einer von fünf Markenbotschaftern der „Go Beyond“- Kampagne ist – des deutschen liebster Sport, der Fußball, hat Einzug in die Szene der Alternativen erhalten. Wir sehen hier eine Häufung, die neugierig macht, und eine Strategie, die sitzt. 

Die sportliche Nähe zum Verbraucher haben bereits andere Marken und Industrien für sich genutzt. Zum Beispiel Funny-Frisch mit Schweini (Bastian Schweinsteiger) und Poldi (Lukas Podolski) für die Vermarktung von Kartoffelchips oder Müllermilch mit Thomas Müller für seinen bekannten Milchdrink. Aber ein Lebensmittel mit politischem Statement, das den Verbrauchern ins Gewissen redet und auf Faktoren wie der Entlastung der Umwelt aufbaut? Wir scheinen die kulinarische Generation erreicht zu haben, der das schmeckt. Für sie ist es Grund genug, am Supermarktregal eine nachhaltige Entscheidung zu treffen, um sich für ein Produkt zu entscheiden. „Durch unsere Zusammenarbeit mit beliebten und von vielen bewunderten Spitzensportlern erfahren die Verbraucher aus erster Hand, welche Vorteile pflanzliches Fleisch für den eigenen Lebensstil und die Umwelt hat. Gemeinsam leisten wir so einen positiven Beitrag für den Planeten, zur Erhaltung natürlicher Ressourcen und zum Tierschutz“, erläutert Verena Wiederkehr, European Plant-Based Evolution Lead bei Beyond Meat, die Verpflichtung von Gnabry.

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Es handelt sich dabei um Faktoren, die immer stärker in der Gunst des Verbrauchers stehen und dessen Ernährungsweise nachhaltig prägen. Diese Faktoren haben auch Einfluss auf die Entwicklungen im Bereich der zellulären Landwirtschaft. So hat PHW gerade erst gemeinsam mit dem israelischen Unternehmen SuperMeat eine Absichtserklärung unterschrieben. In der Vereinbarung wurde die Förderung der Forschung sowie anderer relevanter Felder festgehalten – nicht zuletzt die Arbeit an der EU-Zulassung spielt eine wichtige Rolle. Damit erhält die Etablierung kultivierten Fleisches auch in Deutschland Auftrieb. „Unsere Vision besteht in einer nachhaltigen und ausgewogenen Ernährung für die heutige und zukünftige Gesellschaft. SuperMeat ist ein innovativer Baustein unserer Protein-Plattform-Strategie. Das Bestreben, gemeinsam kultiviertes Fleisch auf dem europäischen und damit auch auf dem deutschen Markt zu etablieren, wird auch die EU-Initiative Green Deal unterstützen“, erklärt Peter Wesjohann, CEO der PHW-Gruppe. Was das bedeutet und wie es sich auf Umsätze, Produkte und Politik auswirkt? Vorhang auf für einen neuen Protein-Kader. 

Der Verbraucher
… will – seine Ernährung anpassen. Darauf lassen zahlreiche Studien schließen. Neueste Erkenntnisse von ProVeg International, dem Smart Protein Project, Veganz oder Wissenschaftlern wie Chris Bryant sind da eindeutig. Die internationale Gemeinschaft, vornehmlich die aktuelle Generation, ist durchaus offen für alternative Proteine, die flexitarische Ernährung ist im Kommen. Laut der Untersuchung „What consumers want: A survey on European consumer attitudes towards plantbased foods” vom Smart Protein Project führt Deutschland mit 10 Prozent der Bevölkerung, die sich pflanzenbasiert ernähren, den europäischen Markt im Hinblick auf den Anteil an. 30 Prozent der Deutschen identifizieren sich zudem als Flexitarier – zu ihnen zählt auch Gnabry. Er könne laut Wiederkehr viele Menschen in Deutschland dazu inspirieren tierisches Fleisch durch pflanzliches zu ersetzen – ob Fußballfan oder nicht. „Die Deutschen sind sehr progressiv und aufgeschlossen, ihre Ernährungsgewohnheiten zu überdenken. Immer mehr Menschen – vor allem jüngere, wie die Generation Z – möchten sich nicht länger zwischen Geschmack und Nachhaltigkeit entscheiden müssen“, weiß Wiederkehr. Dabei zieht die Branchenexpertin Zahlen des Smart Protein Projects heran und verweist auf einen 226-prozentigen Anstieg des Umsatzes mit pflanzenbasiertem Fleisch in Deutschland. 

Von den pflanzlichen Produkten separat zu betrachten sind kultivierte. Noch konnte keines dieser Produkte den europäischen Markt entern. Die Hürden sind vielfältig. Aber ein Blick auf die Studienlage stimmt auch hier positiv. Die von Merck publizierte Trendstudie „Die Cultured Meat Revolution. Wie zellkultiviertes Fleisch zum Game- Changer wird” weist bei Wissenschaftlern beispielsweise eine „Probierbereitschaft” von rund 66 Prozent aus. Und auch die von Christopher Bryant, Lea van Nek und Nathalie C. M. Rolland im Jahr 2020 publizierte Studie „European Markets for Cultured Meat: A Comparison of Germany and France” deutet auf eine Offenheit deutscher Konsumenten gegenüber kultivierten Produkten hin. Rund 22 Prozent der Befragten gaben an, hätten sie die Wahl zwischen kultiviertem und pflanzenbasiertem Fleisch, würden sie kultiviertes stark bevorzugen; rund 20 Prozent würden es eher bevorzugen. Themen wie Natürlichkeit dominieren dennoch oft noch den Diskurs. Die Einbettung der Forschung in einen von Verbrauchern positiv wahrgenommenen Rahmen wird künftig entscheidend für dessen Erfolg sein.
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 Die Produkte

… machen Umsatz. Laut Daten von Euromonitor belief sich der Umsatz mit pflanzenbasiertem Fleisch im Jahr 2021 in Westeuropa auf ganze 2,3 Milliarden Euro. „Nahezu alle großen Hersteller konventioneller Fleischund Wurstwaren bieten auch pflanzenbasierte Alternativen an“, weiß Dirk Liebenberg, Senior Project Manager Corporate Engagement bei der internationalen Ernährungsorganisation ProVeg. Nach Umsatz (2019/2020) sind laut dem Online-Portal Statista die führenden fünf deutschen Hersteller von Wurstwaren die Mühlen-Gruppe, The Family Butchers, Sutter, Wolf und Bell Deutschland – bei drei Anbietern findet man online nach einer kurzen Recherche auch pflanzenbasierte Wurstspezialitäten. Viele Hersteller würden laut Liebenberg dabei auf Clean Labels setzen. So tragen mindestens 720 Fleischund Wurstalternativen von 120 deutschen Unternehmen wie der Rügenwalder Mühle das von ProVeg lizenzierte V-Label.

Laut des Statista Consumer Market Outlooks für das Jahr 2020 läge der Anteil am Fleischmarkt derzeit bei 0,9 Prozent und mache einen Umsatz von 357 Millionen Euro. Prognosen deuten darauf hin, dass Fleischersatzprodukte in Deutschland bis 2027 ein Marktvolumen von 996 Millionen Euro erreichen werden. Statista führt für 2020 zudem für vegetarische Wurstwaren einen Umsatz von rund 397 Millionen Euro auf. „Die Umsatzzahlen in dieser Warenkategorie lassen von 2018 bis 2020 eine deutliche Steigerung des pflanzenbasierten Marktanteils erkennen. Im Jahr 2018 machten vegetarische Wurstwaren noch einen Anteil von 1,6 Prozent am Wurstmarkt aus, 2019 bereits 2,2 Prozent und 2020 gar einen Anteil von 3,5 Prozent“, führt Liebenberg aus. Auch die europäische Expansion von Beyond Meat lässt auf einen wachsenden Markt schließen. Mit der Produktion in den niederländischen Städten Zoeterwoude und Enschede hat der globale Player seine Marktmacht in Europa weiter festigen können. „Unsere Produktionsstätte in Europa bringt uns nicht nur näher an den Verbraucher, sondern gibt uns auch die Möglichkeit, lokale Lieferketten zu nutzen. So verbessern wir die Nachhaltigkeit unserer Tätigkeiten und senken die Kosten, was uns näher an die Preisparität mit tierischem Eiweiß bringt“, erklärt Verena Wiederkehr. Für Beyond Meat sei Deutschland für die langfristige Wachstumsstrategie sehr wichtig.

Neben dem allseits bekannten Beyond Burger können Flexitarier in Deutschland bundesweit mittlerweile auch auf die Beyond Sausage, das Beyond Mince und die Beyond Meatballs zurückgreifen. Ob Edeka, Aldi Nord, Kaufland, Globus, Tegut, Famila, Rewe Lieferservice, Gorillas, Flink oder Amazon Fresh, sie alle sind Kooperationspartner von Beyond Meat. Aber auch Foodservicegrößen wie Metro, Chefs Culinar, Transgourmet und Edeka Foodservice gehören zu den Partnern.

Die Ernährungsexperten
… sind sich einig. Im Trendreport Ernährung 2022 vom NUTRITION HUB und Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) wurden die zehn wichtigsten Ernährungstrends zusammengefasst. Um sie zu identifizieren, wurden über 100 Ernährungsprofis befragt. Auch hier zeigt sich der Trend zur klimafreundlichen Ernährung, wie bereits in den Zahlen des Smart Protein Project. Ganze 71 Prozent der Ernährungsprofis sehen darin einen der wichtigsten Trends der Gegenwart. Sie beobachten, was Studien zeigen – eine Zunahme der Nachfrage nach einer vegetarischen und veganen Ernährung. Dabei gehöre auch das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung zu den zentralen Pfeilern der Entwicklung am Markt.

Die deutschen Player
… sind immer noch rar gesät. Wer einen Eindruck über den Markt erhalten will, der findet beim Good Food Institute in der „Alternative protein company database“ eine erste Quelle. Eben nach Deutschland und Fleisch (inklusive Fisch) sortiert, erhält man immerhin 43 Ergebnisse zu neuen und alten Playern am deutschen Markt. 86 Prozent dieser Unternehmen beschäftigen sich mit Alternativen, die auf Pflanzen basieren. Nur zwei der Innovatoren – Happy Ocean Foods und Viva Maris Algen – entwickeln Produkte auf Algenbasis. Lediglich 18 dieser Unternehmen und damit rund 40 Prozent wurden in den letzten zehn Jahren gegründet.

Die Politik
… hält sich bedeckt. Auf Nachfragen und vor allem im Hinblick auf kultivierte Produkte. Während im asiatischen Raum, nach dem Launch von kultiviertem Fleisch in Singapur, China in seinem aktuellen landwirtschaftlichen Fünfjahresplan kultiviertes Fleisch erwähnt, herrscht in Deutschland zu diesem Thema – zumindest politisch – Stille. Bisher wird nur wenig mehr vernommen als die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gemachte Bekanntmachung über die Förderung von Forschungsprojekten, „die sich der Erschließung und dem Einsatz alternativer Proteinquellen für die menschliche Ernährung“ widmen. Wo wir politisch stehen, dem können wir in der Novemberausgabe vielleicht näher auf den Grund gehen. Bis dahin teilt Dirk Liebenberg seine Sicht auf alternative Proteine im Kontext der Politik.




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