NEWMEAT: Singapur hat in Fragen einer unabhängigen Landwirtschaft viel erreicht. Welche Rolle spielt hier Ernährungssicherheit?
Samuel Chan: Die meisten Großstädte sind bei ihrer Lebensmittelversorgung weitgehend auf Importe angewiesen und Singapur ist ein kleiner Stadtstaat mit begrenzten Ressourcen. Nur 1 Prozent unseres Landes steht für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung. Über 90 Prozent der Lebensmittel werden aus einer zunehmend zerrütteten Welt importiert. Die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung der Ernährungssicherheit noch intensiviert. Deshalb ist es für Singapur besonders wichtig, in die Agrar- und Ernährungswirtschaft zu investieren. Wir müssen entsprechende Fähigkeiten entwickeln, um die Widerstandsfähigkeit und Sicherheit der Ernährung für uns und künftige Generationen zu gewährleisten. Mit der „Three food baskets“- Strategie der Singapore Food Agency (SFA) haben wir einen proaktiven Ansatz für eine langfristige Ernährungssicherheit auf den Weg gebracht. In dieser Strategie werden eine Diversifizierung der Nahrungsmittelquellen, der Ausbau des lokalen Anbaus sowie die Entwicklung des Anbaus im Ausland angestrebt.
NEWMEAT: Wie hoch ist die Nachfrage nach Fleisch und Alternativen?
Samuel Chan: Wir haben 2021 einen durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 62 kg Fleisch verzeichnet. Da der Sektor für alternatives Fleisch gerade erst entsteht, liegen über die Nachfrage und den Verbrauch in diesem Bereich nur wenige Daten vor. McKinsey hat prognostiziert, dass der Markt für alternative Proteine in Asien von derzeit 300 Millionen US-Dollar bis 2025 auf mehr als 1 Milliarde US-Dollar anwachsen wird. Laut der veganen Lebensmittel-App abillion zeigte eine Studie unter 10.000 Nutzern in Singapur, dass das Interesse an pflanzlichen Schweine- und Hühnerfleischprodukten von 2019 bis 2020 um das Siebenfache gestiegen ist. Der Umsatz mit tiefgekühlten Fleischersatzprodukten ist in Singapur von 2019 auf 2020 um 26,7 Prozent gestiegen, während der Umsatz mit traditionellem Fleisch um nur 7,4 Prozent gewachsen ist.
NEWMEAT: Wie wird die Entwicklung von alternativen Proteinen von der Regierung unterstützt?
Samuel Chan: Die Arbeit an neuen Lösungen zur Bewältigung der Herausforderungen im Agrar- und Ernährungsbereich erfordert erhebliche und nachhaltige Investitionen in Technologien. Diese Mittel wurden bereitgestellt, um die Entwicklung von Innovation anzuführen und den Agrar- und Ernährungssektor durch den Zugang zu multidisziplinärem Fachwissen weiterzuentwickeln. 2019 haben wir das mit 144 Millionen USD dotierte F&EProgramm „Singapore Food Story” gelauncht, um die Forschung in den Bereichen Aquakultur, neuartige Lebensmittel und urbane Landwirtschaft zu finanzieren. Unternehmen können die Ressourcen dieses Ökosystems rund um die Forschung für sich nutzen, um mithilfe des Know-hows ihre Produkte zu verbessern und schneller auf den Markt zu bringen. Dazu unterstützen wir auch bei der Produktion, die oft mit erheblichen Investitionen in Anlagen verbunden ist. Das ist eine große Hürde in der frühen Phase des Wachstums. Im Ökosystem Singapur gibt es deshalb Partner, die Auftragsentwicklungs- und Produktionsdienstleistungen anbieten, um das Risiko zu verringern und die Entwicklung der Produkte zu beschleunigen.
NEWMEAT: Welche Rolle spielt das Thema Regulierung?
Samuel Chan: Das Fehlen klarer ordnungspolitischer Rahmenbedingungen, die die Einführung neuer Technologien unterstützen, ist eine große Herausforderung für Start-ups. Unsere Regularien unterstützen Unternehmen bei der Markteinführung neuartiger Lebensmittel. Singapur ist das erste und einzige Land der Welt, das den Verkauf und Verzehr von kultiviertem Hühnerfleisch genehmigt hat. Für die Bewertung solcher Lebensmittel haben die Singapore Food Agency und die Nanyang Technological University (NTU) die Initiative „FRESH” (Future Ready Food Safety Hub) ins Leben gerufen. Sie zielt darauf ab, lokale Kapazitäten zur Forschung und Entwicklung im Bereich der Lebensmittelsicherheit aufzubauen, um innovative Methoden zur Bewertung neuartiger Lebensmittel zu unterstützen. Die NTU hat darüber hinaus gemeinsam mit dem Good Food Institute Asiens ersten Universitätslehrgang zu alternativen Proteinen in Singapur aufgebaut.
NEWMEAT: Welche Unternehmen aus dem Bereich der Alternativen sind in Singapur angesiedelt?
Samuel Chan: Wir beobachten ein starkes Interesse an Singapur bei Unternehmen, die alternative Fleischprodukte für die Region entwickeln und in die Region liefern. Investoren beteiligen sich an Start-ups, die die unterschiedlichsten Ansätze zur Produktion alternativer Proteine verfolgen, und das von der Early bis zur Later Stage. Im Juni 2022 machte GOOD Meat den ersten Spatenstich für das asienweit größte Zentrum für die Kultivierung von Fleisch. Das in Hongkong ansässige Start-up Avant Meats schloss eine Forschungskooperation mit dem Bioprocessing Technology Institute der singapurischen Agency for Science, Technology and Research (A*STAR) ab, um die Skalierung seines Verfahrens zur Produktion von kultiviertem Fisch voranzutreiben. Innovative lokale Startups feiern zudem globale Erfolge: Shiok Meats hat bisher mehr als 30 Millionen US-Dollar eingeworben und wird in Singapur eine F&E-Produktionsanlage errichten, um sein Produkt bis 2023 auf den Markt zu bringen. Das in Singapur ansässige Start-up Umami Meats hat sich eine Finanzierung in Höhe von 2,4 Millionen US-Dollar gesichert, um sein aus Pflanzen gewonnenes Wachstumsserum und Produktionssystem für kultivierte Meeresfrüchte weiterzuentwickeln. Etablierte Unternehmen wie ADM und Firmenich haben Singapur als Standort für ihre Innovationszentren zu pflanzlichen Proteinen gewählt. Im Jahr 2020 richteten Bühler und Givaudan zudem ein gemeinsames Innovationszentrum für Proteine ein, um unser wachsendes Ökosystem aus Start-ups, Unternehmen und Wissenschaftlern bei der Entwicklung von Produkten auf Pflanzenbasis zu unterstützen. Und im Juli 2022 eröffnete das Joint Venture der Asia Sustainable Foods Platform mit dem deutschen Produktionsriesen CREMER seine erste Auftragsfertigungsanlage für pflanzliche Proteine in Singapur.
NEWMEAT: Wo geht es für Singapur hin?
Samuel Chan: Unser Ansatz, einen innovativen Sektor für alternative Proteine zu entwickeln, birgt für unser Land und unsere Bürger große Vorteile, die über die Gewährleistung unserer Ernährungssicherheit hinausgehen. Die wachsende Präsenz alternativer Eiweißprodukte in Singapur bietet den Verbrauchern eine breitere Palette von Nahrungsoptionen, die ihren Bedürfnissen, Vorlieben und ihrem Lebensstil entsprechen. Die Industrie rund um die Produktion alternativer Proteine wird neue Arbeitsplätze schaffen, die sich von der traditionellen Landwirtschaft unterscheiden. Sie betreffen spezialisierte Berufe wie Bioreaktoringenieure und Extrusionsspezialisten, die zur Unterstützung hochqualifizierter Berufe in der mikrobiellen Fermentation, Geschmacksformulierung und Lebensmittelverarbeitung sowie in der Bioprozessentwicklung benötigt werden. So bleiben wir immer einen Schritt voraus.